Donnerstag, 2. Februar 2017

Berlin - eine Buchrezension und eine heimliche Liebe

Im März letzten Jahres habe ich Berlin besucht. Zuvor war ich schon einmal dort, ganz kurz, um den Umzug meines zukünftigen Ehemannes zu vollziehen. Er wohnte in einem schäbigen Teil Berlins, irgendwie direkt auf einem ehemaligen Grenzgebiet, Neubauten, von Architektur kann keine Rede sein, zumindest nicht für’s Auge. Damals fand ich Berlin häßlich, als wären alle schäbigen Teile des Ruhrgebietes zusammengefasst an einem Ort.

Im März habe ich dann mit einer Gruppe Berlin ein weiteres Mal besucht. Hier standen vor allem Sehenswürdigkeiten, politische Einrichtungen und internationale Restaurants auf dem Programm. Ich lerne einen ganz anderen Teil Berlin kennen. Wir wohnte in einem Hotel an der Friedrichstraße, kaum 400 m vom ehemaligen Check-Point Charly entfernt. Hier liegen dreckige, abgewrackte alte Häuser dicht an aufgemotzten, glamourösen Bauwerken, die noble Kaufhäuser, Restaurants, und andere Konsumhallen beherbergen. Geschichtliche Bauwerke, pompöse Neubauten für Regierung und Verwaltung - all’ das hat Berlin zu bieten.

Wir fuhren kreuz und quer durch die Stadt, sahen elendige Sozialwohngebiete und hochmütige Prollbauten. Soetwas hatte ich zuvor nur in Rom gesehen. Ähnlich und doch ganz anderes.



Mein Blick auf Berlin und die Berliner, die geschichtlich gesehen einen ganz anderen Status oder einfach ganz andere Lebensumstände haben, als wir z.B. im Ruhrgebiet, hat sich nachhaltig verändert. Ich begann zu verstehen. Ich sah mir die Menschen an, machte mir Gedanken über ihre Möglichkeiten, ihre Einschränkungen, die wechselhafte Vergangenheit, die geprägt haben muss.
Zum Abschluss der Fahrt besuchten wir eine Gedenkstätte. Ein ehemaliges KGB-Gefängnis - die Gedenk- und Begegnungsstätte Leistikowstrasse Potsdam. Unheimlich! Bedrückend. Schon bevor wir die Hintergründe und Schicksale der Menschen, die dort einsaßen, erfuhren, wirkte dieses Haus beängstigend.

Diese Reise hat meine Sicht auf Berlin sehr verändert. Nicht, dass ich all’ den Protz und Glamour, die Völlerei der Einkaufszentren, die umfassenden Möglichkeiten, einfach alles dort zu bekommen, was man möchte - so zumindest mein Eindruck - anprangere oder vielleicht sogar vermisse. Hier in meiner kleinen Heimatstadt bekommt man nahezu gar nichts, was denn alltäglichen Bedarf an Basiseinkäufen übersteigen würde. Als ich nach der Reise das erste Mal wieder durch Herten lief (bzw. mit dem Fahrrad fuhr), kam mir hier alles so klein, so eingeschränkt, so wenig, so leer und irgendwie auch fehl am Platze vor. Klar, kann man die pulsierende Hauptstadt nicht mit einer Kleinstadt inmitten der Ruhrgebietes, umschlossen von größeren Städten, vergleichen. Dennoch hatte ich an dem ersten Tag meiner Rückkehr irgend wie das Gefühl von Bedeutungslosigkeit. Man möge mir verzeihen - ich liebe mein Heimatstadt. Ich bin hier zu Hause, arbeite hier, bemühe mich in meiner Freizeit ehrenamtlich und viel für eine gute Umgebung und ein bekömmliches Auskommen in Herten. Ich bin für Fortschritt in Verbindung mit ökologischer Nachhaltigkeit, versuche mit anderen Mitstreitern digitale Transformation voranzutreiben, und möchte, dass mein Heimatstädtchen genauso vielfältig und vielschichtig an Bewohnern und Kultur ist und bleibt, wie es seit vielen Jahrzehnten geprägt wurde.

Dennoch habe ich meinen Kindern und anderen, denen ich von meiner Reise erzählte, viel von Berlin vorgeschwärmt. Dass es in nahezu jeder Mall die Möglichkeit gäbe, sogar veganes Essen zu bekommen, ohne Probleme, ohne lange suchen zu müssen. Dass die Vielfalt an Angeboten für nahezu jedes Einkommen ständig gegeben war. Multikultur auf den Straßen. Touristenscharen, wie selbstverständlich, in Englisch angesprochen zu werden. Oder sein Essen zu bestellen. Ich hatte nicht das Gefühl, dass hier irgendjemand auf die Hautfarbe oder die vermeintliche Andersartigkeit passierender Menschen geachtet hat.
Diese Stadt einen ganz anderen, eigenen flow. Irgendwas ist an ihr, die sie liebenswert macht. Auch für mich, die ich mit sovielen Vorurteilen dort hin gefahren bin.
Heute würde ich jederzeit immer wieder gerne nach Berlin fahren, einfach um dort zu sein, Menschen zu treffen, diesen flow zu fühlen, das Unbekannte, das es hier nicht gibt.
Dass ich das mal sagen/schreiben würde, hätte ich niemals gedacht!



Meine wunderbare Amazon Kindle-Flatrate verführt mich ständig neue Bücher zu lesen. Mein bevorzugtes Thema ist Krimi und Thriller (kein Horror!) und dort suche ich immer nach lesenswerten eBooks. Letztens habe ich unter dieser Kategorie das Buch Die Mauer zwischen uns gefunden und runtergeladen.

Buchrezension  Die Mauer zwischen uns von Jesper Bugge Kold.


Berlin 2006. Inmitten eines Wohngebietes wird am Abend auf offener Straße ein Mann mit einem Messer erstochen. Im Anblick des Todes, erkennt er, warum er sterben sollte. Der Täter verläßt den Tatort, eine Frau am Fenster verschwindet hinter ihren Gardinen.

Berlin 1975. Junge Menschen baden in einem See nahe Berlins. Neben DDR-Bürgern sind auch ein paar Jugendliche aus Dänemark, bla und bla dabei. Peter ist in Elisabeth verliebt, traut sich aber nicht, ihr das zu zeigen. Eines Tages, kurz vor ihrer Abreise zurück nach Dänemark, kommen die beiden sich dennoch näher.

Berlin 2006. Der ewige Student Andreas hat vom Tod seines Vaters erfahren und kommt aus seiner Heimat Dänemark nach Berlin. Andreas hat seinen Vater zu Lebzeiten nie kennengelernt und möchte nun die Todesursache und vor allem die Person Peter erforschen.

Nun wechselt der Autor geschickt zwischen die Jahre und die Protagonisten seiner Erzählung hin und her. Er beschreibt Peter, den die Leser früher und besser kennenlernen, al sein unehelicher Sohn Andreas, der sich auf die Suche nach seinem ihm unbekannten Vater macht. Andreas lernt Peters Schwester - seine Tante - und deren Tochter Bea kennen. Zusammen mit der Studentin Bea, die ein paar Jahre jünger als Andreas ist, nimmt er die Spur seines Vaters auf. Sie lernen Menschen kennen, die Peter zu Lebzeiten kannten, Menschen, die nicht über ihn oder der gemeinsamen Vergangenheit erzählen wollen.
Es erscheinen Menschen in Peters Leben, die fest mit seinem Schicksal verbunden sind.
Der Verlauf dieser Erzählung scheint kein gutes Ende zu nehmen. Bedrückende Stimmung macht sich breit. Andreas erfährt Dinge, die er kaum verarbeiten kann. Dann kommt es zu einem plötzlichen Todesfall.

Der Autor strickt hier eine eindrucksvolle Geschichte. Sie handelt über Menschen, die im Gedanken, das Richtige zu tun, ihr Handeln nicht anzweifeln. Für Unbeteiligte, wie dem gemeinen Leser (mir), der in keinster Weise mit den Machenschaften in der ehemaligen DDR und der gesamten politischen Situation zu der Zeit involviert ist, hier und da sehr schwer verdaulich. Das Geschehen wirkt düster, aber sehr spannend, ich habe es in zwei Tagen durchgelesen.
Man bekommt einen Einblick in die Arbeits- und Wirkungsweise der Staatssicherheit der DDR, der Menschen, die in der Schwester-Republik der BRD leben und aufgewachsen sind. Schicksal ist mit Macht und blindem Aktionismus eng verbunden. Der Autor geht auf die nach dem Fall der Mauer und den in den kommenden Zeiten aufkommenden Problemen der Gesellschaft, bedingt durch vielleicht zu hohen Erwartungen und einer niedrigen Erwerbstätigkeit kurz ein. In einem Satz beschreibt er, wie sich sicherlich viele ehemalige DDR-Bürger nach der Wende gefühlt haben: Deutschland ist nicht zusammen gewachsen, die DDR wurde geschluckt. Die Mentalität der Ost-Berliner, bedingt durch den Mauerbau und dem DDR-Regime ist bestimmt einzigartig.

Ein sehr gutes Buch! Spannend, an keiner Stelle langweilig. Eine verständliche Sprache, gut platzierte Emotionen, die Empathie für alle Protagonisten erwecken. Sehr empfehlenswert!

Die in diesem Buch auch beleuchteten Seiten Berlins, diese unerklärliche Faszination, die diese Stadt auf ihre Bewohner und Besucher ausübt, lodert in dieser Geschichte auf. Nun habe ich echtes Verlangen, unsere Hauptstadt ein weiteres Mal zu besuchen und sie hoffentlich erneut aus ganz anderen Augen zu betrachten.
Ich befürchte, ich habe mich in diese Stadt verliebt.



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